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Griechenland und die Türkei: Annäherung oder Illusion?

Eine rote Krawatte für die Türkei, eine blaue für Griechenland: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan (l.) traf am Donnerstag den griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis in Athen.

Die jahrzehntelangen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland könnten sich nach einem Treffen der Staatschefs entspannen. Doch Expertinnen und Experten sind skeptisch, ob der Dialog eine echte Aussöhnung bringt. Ein Blick auf die entscheidenden Aspekte des Konflikts und die Chancen auf Einigung.

Seit Langem belasten Spannungen die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland. Der Streit um Hoheitsrechte in der Ägäis, Geflüchtete, die aus der Türkei in die EU drängen, und die Ausbeutung von Ressourcen im östlichen Mittelmeer belasten das Verhältnis der Länder. Hinzukommen historische Konflikte, wie der um Zypern, und aktuelle Provokationen, Stichwort: Überflüge.

Doch nach dem jüngsten Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Athen scheinen sich die Nachbarn anzunähern. Gar von Freundschaft war die Rede. Aber bringen die warmen Worte wirklich eine Wende? DTJ-Online versucht sich an einer Antwort dieser komplexen Fragestellung und beleuchtet die Streitpunkte – einzeln und neutral.

Nationalismen treiben Spannungen voran

Erdoğan und sein griechischer Amtskollege Kyriakos Mitsotakis nutzen den griechisch-türkischen Konflikt seit geraumer Zeit, um Nationalismen in ihren Ländern zu schüren. Beide befeuern damit ihre politischen und regionalen Ambitionen. Konkurrierende Regionalmächte: Das nährt Zweifel an einer grundlegenden Aussöhnung. Vor allem in der Türkei ist eine anti-griechische Rhetorik unter Nationalisten weiterhin en vogue.

Wenn beide Staatslenker jedoch – wie zuletzt – einen Schritt aufeinander zu gehen, bietet sich eine Chance. Die aktuellen Gespräche tragen zumindest zur Deeskalation bei. Auch können gemeinsame Interessen ausgelotet werden. Zum Beispiel beim Konfliktthema Grenzsicherung, das auch eine EU-Fragestellung ist, könnte das kurzfristig für Entspannung sorgen.

Rhetorische Abrüstung zwischen Erdoğan und Mitsotakis

Allein der Fakt, dass Erdoğan und Mitsotakis wieder miteinander sprechen, ist indes ein gutes Zeichen. Beobachter sehen die rhetorische Deeskalation und erste Zeichen der Entspannung als Schritt in die richtige Richtung. Besonders positiv bewerten sie, dass Erdoğan und Mitsotakis bereits einen politischen Fahrplan vereinbarten, der bilaterale Konsultationen und Dialogforen zur Lösung der Konflikte im östlichen Mittelmeer vorsieht.

Dennoch birgt das Verhältnis weiterhin Sprengstoff. Es ist schließlich keine 15 Monate her, dass der türkische Machthaber die ostägäischen Inseln als „unrechtmäßig besetzt“ beschrieb und öffentlich von einem möglichen Einmarsch ins Nachbarland fabulierte. Erdoğans Worte – „wenn die Zeit kommt, werden wir tun, was nötig ist. Wir können plötzlich über Nacht kommen“ – hallen in Athen noch immer nach. Im Rahmen seines Besuchs in Athen sagte er nun, dass seine damaligen Worte durch westliche Medien verdreht worden seien.

Annäherung seit Jahresbeginn trotz historischer Konflikte

Dennoch stehen die Zeichen auf Frieden und Kooperation im östlichen Mittelmeer. Schon seit Jahresbeginn entspannte sich das griechisch-türkische Verhältnis. Auch das verheerende Erdbeben in der Türkei von Anfang Februar 2023 trug einen Teil dazu bei. So reiste Griechenlands Verteidigungsminister Nikos Dendias als erster ausländischer Politiker – damals noch in der Rolle des Außenministers – ins türkische Katastrophengebiet.

Diese sogenannte Erdbebendiplomatie führte in Ankara zu einem Umdenken – trotz tiefsitzender Konflikte, die nach historischen Niederlagen auf der einen, wie auf der anderen Seite noch immer nicht verarbeitet sind. Häufig wird der ungelöste Zypernkonflikt als Wurzel der aktuellen Spannungen beschrieben. Die historischen Ursprünge des Nachbarkonflikts reichen aber viel weiter zurück. Geprägt wurden sie vor allem vom griechisch-türkischen Krieg von 1919 bis 1922 sowie dem Vertrag von Lausanne.

Der ewige Streit ums Gas

Apropos Zypern: Auch in zyprischen Hoheitsgewässern suchte die Türkei in den vergangenen Jahren mit Bohrschiffen nach Erdgasvorkommen, was auch Athen verärgerte. Allerdings ist auch das aus Ankaras Sicht ein Affront. Denn die energiepolitische Zusammenarbeit der Republik Zypern, Israel und Griechenland, zur Ausbeutung der Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer, sieht sie wiederum als gezielte Schwächung der eigenen Macht an.

Dem Erdgas-Streit liegen – wie übrigens auch dem Insel-Konflikt – die Fragen um den Festlandsockel und die Meereszonen zwischen den beiden Ländern zu Grunde. Sie sind technisch schwierig, aber nicht unüberwindbar. Dennoch ist auch hier eine substantielle Einigung zumindest „noch“ nicht in Sicht.

Eine Kursänderung im Umgang mit dem Streit um Wirtschaftszonen in der Ägäis könnte aber ein erster Schritt zu mehr Entspannung im griechisch-türkischen Verhältnis sein. Insgesamt stehen die Zeichen auf vorsichtiger Entspannung.