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Pro-Asyl-Geschäftsführer über die Folgen des Gerichtserfolgs gegen Dobrindts Grenzpolitik: „Der Grad an Härte und Hetze hat mich überrascht“

                          Artikel von Stefanie Witte/ T-Spiegel 

Unterstützt von Pro Asyl klagten drei Somalier erfolgreich gegen ihre Zurückweisung an der deutschen Grenze. In der Folge wurde der Organisation vieles vorgeworfen, etwa Hilfe beim illegalen Grenzübertritt. Geschäftsführer Karl Kopp wehrt sich.

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Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) lässt an der Grenze zu Polen Einreisende weiter kontrollieren – und Asylsuchende zurückweisen. © Foto: IMAGO/Andy Bünning/IMAGO/Andy Buenning

Herr Kopp, drei Somalier haben vor einem Berliner Verwaltungsgericht Recht bekommen: Deutschland darf sie nicht direkt nach Polen zurückschicken, sondern muss ihre Asylgesuche prüfen. Pro Asyl hat die drei unterstützt. Wie kam der Kontakt zu ihrer Organisation zustande?

Zwei Mitarbeitende von Pro Asyl waren am 7. Mai Teil einer deutschen Delegation, an der auch Parlamentarierinnen teilgenommen haben. Dabei haben wir die jungen Flüchtlinge kennengelernt – unter ihnen die 16-Jährige, die aufgrund ihrer Verletzungen kaum noch laufen konnte. Sie wurden zuvor zweimal rechtswidrig zurückgewiesen. Gemeinsam mit polnischen Partnerorganisationen unterstützte Pro Asyl ihre medizinische Versorgung, Unterbringung und die rechtliche Vertretung in Polen und Deutschland.

Eine kleine polnische NGO hat die gravierenden Verletzungen der Minderjährigen behandeln lassen – die Folgen von Erfrierungen – und hat sie in einem Hotel untergebracht – mit Meldeauflagen der polnischen Grenzbehörden. Gleichzeitig wurde von unserer Partnerorganisation, Helsinki Foundation for Human Rights, geprüft, ob sie überhaupt einen Zugang zu einem Asylverfahren in Polen haben.

Polen gilt als Rechtsstaat – warum hat die polnische NGO nicht dafür gesorgt, dass das Verfahren in Polen ordnungsgemäß läuft?

Es drohte Abschiebungshaft oder gar die Abschiebung. Die drei Schutzsuchenden haben außerdem exzessive Gewalt an der polnisch-belarussischen Grenze erfahren. Deshalb war die Expertise unserer Partnerorganisation essenziell, um die traumatisierten Zurückgewiesenen zu schützen.

Wie kam dann der Kontakt zur deutschen Anwältin zustande?

Die renommierte Asylanwältin gehört zu dem Pool von Anwältinnen, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. Sie hat die Vollmacht bei der Befragung der drei am 9. Mai durch die Bundespolizei bekommen und dann einen Asylantrag gestellt.

Wie kam es dann zum dritten Einreiseversuch? Der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm, hat Pro Asyl vorgeworfen, beim illegalen Grenzübertritt unterstützt zu haben. Haben Sie das getan?

Nein, das ist eine Falschbehauptung. Wir haben das glatte Gegenteil gemacht: Wir haben mit unserem menschenrechtlichen Ansatz der rechtlichen und humanitären Unterstützung in Polen und Deutschland – an der Seite der Betroffenen – wochenlang darum gekämpft, dass sie legal den deutschen Grenzübergang überqueren durften. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in sehr grundsätzlichen Beschlüssen klipp und klar festgestellt, dass die Zurückweisung beim dritten Einreiseversuch europarechtswidrig war – eine krachende Niederlage für die Bundespolizei und das Bundesinnenministerium.

Als große und sehr erfahrene Organisation operieren wir ausschließlich legal und transparent. Wir haben mehr als 25.000 Mitglieder und eine noch höhere Zahl an regelmäßigen Spenderinnen. Wir schulden ihnen und unseren Mitarbeitenden, uns gegen Verleumdungen rechtlich zu wehren.

Die drei Somalier konnten aber damit rechnen, durch Sie, durch die Berliner Anwältin auf deutscher Seite Hilfe zu erwarten?

Ganz klar: Wir helfen Flüchtlingen, ihre Rechte durchzusetzen – wenn deutsche Behörden sehenden Auges Recht brechen! Die drei Somalier allein haben entschieden, die Einreise nach Deutschland ein drittes Mal zu wagen. Es findet kein Puppenspiel statt, wo Schutzsuchende nach der Pfeife von Organisationen tanzen.

Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, hat impliziert, dass Pro Asyl der betroffenen Somalierin nahegelegt habe, ihr wahres Alter zu verschleiern. Haben Sie das getan?

Nein, das ist eine hanebüchene Falschbehauptung: In den Unterlagen der Bundespolizei wurde sie bereits bei der zweiten Zurückweisung als Minderjährige geführt – zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht einmal von der Existenz der drei.

Welchen Kontakt hat Pro Asyl jetzt zu den drei Somaliern?

Sie werden von einem starken Asyl-Netzwerk bei behördlichen, medizinischen und therapeutischen Terminen unterstützt. Wir sind sehr dankbar für die wundervolle Solidarität. Die drei Asylsuchenden müssen aber auch vor einer Gruppe Journalisten geschützt werden, die ihnen auflauern und permanent mit vertraulichen Informationen aus dem Behördenapparat versorgt werden. Die drei erahnen mittlerweile, dass an ihrem Beispiel ein Grundsatzkonflikt über die sogenannte Asylwende geführt wird. Sie werden mit ihren Porträts an den Pranger gestellt. Das führt zu massiven Ängsten und Panikattacken. Und es kann auch Familienangehörige im Herkunftsland gefährden.

Dieser Fall ist der Beispielfall, auf den angesichts der Zurückweisungen, die der Bundesinnenminister angeordnet hat, viele gewartet haben. Sie hatten mit diesen Dreien schon in Polen Kontakt. Haben Sie sie nicht gewarnt vor dem, was in Deutschland passieren könnte?

Zunächst geht es hier um Einzelfallunterstützung und um einen Ansatz, der rechtliche und humanitäre Unterstützung gewährt. Das ist ein normaler Vorgang in einem Rechtsstaat. Es ist kein normaler Vorgang, dass die Richterinnen bedroht und die Anwältin attackiert werden. Dass mit persönlichen Daten Schutzsuchender so umgegangen wird, dass jeder Termin bis hin zum Arzt-Termin durchgestochen wird.

Das hat auch Sie überrascht?

Ja, der Grad an Härte und Hetze hat mich überrascht – ebenso wie Verleumdungen von zwei Politikern aus der demokratischen Mitte. Es sollte Konsens sein: hart über Inhalte streiten, aber ohne Verleumdungen. Aber wenn man die Betroffenen darauf vorbereiten muss, dass sie gejagt werden, wenn sie ihre Rechte durchsetzen, dann denke ich an den Satz der Altkanzlerin Angela Merkel: ‚Dann ist das nicht mehr mein Land.‘ Wir verteidigen mit unserer Arbeit auch demokratische, rechtsstaatliche Grundsätze.

Stand jetzt haben wir keinen neuen Fall in der Rechtshilfe Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat angekündigt, ein mögliches Veto des Europäischen Gerichtshofs zu seinem Vorgehen zu respektieren. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Was planen Sie, falls das Verfahren der Somalierin scheitert

Die Jugendliche hat bereits vor Gericht gewonnen. Damit der Fall zum EuGH kommt, muss in Deutschland ein Hauptsacheverfahren stattfinden. Ob es dazu kommt, ist allein Sache der Betroffenen und ihrer Anwältin. Wir haben kürzlich mit Menschenrechtsorganisationen aus sieben Nachbarstaaten einen Appell an die EU-Kommission gerichtet, damit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wird.

Haben Sie weitere Fälle dieser Art in Vorbereitung?

Stand jetzt haben wir keinen neuen Fall in der Rechtshilfe. Wir hoffen, dass auch andere Organisationen Opfer der Zurückweisungspraxis vor Gericht unterstützen.

Sie sagen, dass Sie Asylbewerbern helfen, zu ihrem Recht zu kommen. Es kann nun sein, dass die drei Somalier im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Polen oder Litauen überstellt werden. Würden Sie das akzeptieren?

Wichtig ist, dass jetzt überhaupt ein rechtsstaatliches Verfahren stattfindet. Wir wissen noch nicht, wie die Dublin-Verfahren ausgehen. Es kann sein, dass man zu dem Schluss kommt, dass Deutschland das reguläre Asylverfahren durchführen muss. Dafür sprechen gewichtige Gründe.