So läuft es jetzt an deutschen Grenzen

Von Stefan Schlagenhaufer, Dennis Dreher, Wolfgang Ranft und Hans-Jörg Vehlewald
Deutschland macht dicht – jedenfalls ein bisschen mehr!
Seit 24 Stunden wird vor allem an den Grenzen zu Polen, Frankreich, der Schweiz und Österreich verschärft kontrolliert, um illegale Einwanderer zu stoppen und nach Möglichkeit zurückzuweisen.
Erst am Mittwoch hatte der frisch ernannte CSU-Innenminister Alexander Dobrindt (54) eine neue Weisung an seine Bundespolizei versendet, wonach Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen der Zutritt zu deutschen Staatsgebiet verweigert werden kann – die Asylwende nach 3524 Tagen, in denen Zuwanderer mit dem Wort „Asyl“ praktisch ungehindert nach Deutschland einreisen und ihr monatelanges Verfahren zur Zurückweisung in sichere Nachbarstaaten abwarten konnten.
Dobrindt und die Bundespolizei hatten sich in den Tagen zuvor akribisch auf den Tag X vorbereitet.
11.000 reguläre Beamte wurden durch weitere 3000 Kräfte an den Grenzen verstärkt, die Schichten auf 12 Stunden verlängert. Das Kontingent der Bundesbereitschaftspolizei wurde auf 12 Hundertschaften verdoppelt.
Und wie lief das neue Grenzregime in den ersten 24 Stunden? B.Z./BILD-Reporter berichten von 4 Standorten an den Grenzen zur Schweiz, Österreich, Polen und Frankreich.
► Hier die Berichte:
Frankreich-Grenze
► Die Goldene Bremm bei Saarbrücken ist der größte Grenzübergang zwischen Frankreich und Deutschland. Zehntausende Fahrzeuge passieren täglich die Autoroute A320 und Autobahn A6 zwischen dem französischen Kanton Stiring-Wendel und Saarbrücken. Dazu kommt der kleinere Übergang an der parallel verlaufenden Route Nationale N3 und der Bundesstraße B 41, als Schleuserstrecke besonders in den Nachtstunden gefürchtet.
Schwer bewaffnete Bundespolizisten stehen an der Autobahngrenze. Ein quergestellter Einsatzwagen am Standstreifen, Blaulicht-Gewitter. Die Beamten winken verdächtige Fahrzeuge, besonders Kleintransporter und vollbesetzte Pkw – hauptsächlich mit französischen Kennzeichen – raus. 7 weitere Einsatzbusse stehen neben der Kontrolldurchfahrt.
Bis zu 10 Beamte kontrollieren auf 2 Spuren an einem überdachten Platz, in den Polizei-Bussen dahinter sitzt teilweise Verstärkung. Am Grenzgebäude hektisches Treiben im aufgebauten mobilen Zelt für Personenkontrollen. Innerhalb 24 Stunden hat die Besetzung der Grenze zugenommen.
Um 15.30 Uhr erwischen die Grenzer einen afrikanischen Flüchtling (22) ohne Papiere. Fünf Beamte fahren ihn im Polizei-Bus zur Befragung. Ein Beamter: „Klar ist: Der darf hier nicht sein“. Der junge Flüchtling hält seine Hand vors Gesicht. Er weiß: Bei negativem Ergebnis wird er an Frankreich überstellt.
Nur 100 Meter entfernt: die Bundesstraßen-Grenze (B41/N3). Dort stehen am Übergang 2 Bundespolizisten mit gezückter Kelle. Am Tag zuvor war die Grenze noch unbesetzt. Auf dem Parkplatz der alten Grenzwache stehen 2 Polizei-Busse. Auch hier werden vorwiegend voll besetzte und verdächtige Pkw angehalten – meistens mit französischen Kennzeichen. An der französischen Seite stehen Bewohner von Stiring-Wendel und beobachten das Großaufgebot der deutschen Bundespolizei mit Argwohn. Einer sagt: „Die Deutschen weisen zurück. Wir wollen die Leute aber auch nicht bei uns haben.“
An beiden Grenzen sind die französischen Wachen wegen des Feiertages zum Sieg über Nazi-Deutschland verwaist. Die deutschen Bundespolizisten sind seit heute alle über die neue Situation informiert und haben neue Einsatz-Befehle. Alles ist hochgefahren auf das Maximum, ab dem Wochenende kommen nach BILD-Informationen zusätzliche Truppen aus anderen Bundesländern an die französische Grenze.
Bis jetzt gibt es keine Hilfegesuche an die Landespolizei, die Bundespolizei an den Grenzen zu unterstützen. Die Bundespolizei muss alles allein stemmen. Ein Bundespolizist sagt hinter vorgehaltener Hand zu BILD: „Für uns werden das jetzt für Wochen gigantisch lange Tage mit 11-Stunden-Schichten.“
Schweizer Grenze
► Weil am Rhein, Ortsteil Friedlingen. Der Grenzübergang zwischen Südbaden und der Schweiz ist einer der Hotspots für Flüchtlinge auf ihrer Route nach Norden. Die Stadt hatte in den Vorjahren stets eine der höchsten Zahlen von illegalen Einreisen in ganz Deutschland.
Schon seit mehreren Jahren wird jeder Fahrgast der Straßenbahn-Linie 8 zwischen Basel (Schweiz) und Weil am Rhein von Bundespolizisten auf seine Reisedokumente hin überprüft. Gestern wie heute stehen 2 Einsatzfahrzeuge und ein halbes Dutzend Bundespolizisten bereit. Sie steigen in jede ankommende Tram und kontrollieren die Papiere. Fußgänger, Radfahrer und Autos können unkontrolliert passieren.
Um 9.20 Uhr der erste Zugriff! Die Reporter beobachten, wie die Beamten einen Mann in Lacoste-Sneakers (120 Euro) aus der Straßenbahn in den benachbarten Container führen. 50 Minuten dauert die Befragung. Ergebnis: offener Haftbefehl in Deutschland, 7 Tage Resthaft stehen noch aus. Dennoch soll er nun an die Schweizer Behörden überführt werden.
Auf der Nachrichtenplattform X hatte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD den Dobrindt-Beschluss zuvor kritisiert: „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht.“ Die Schweizer Seite der Grenze ist am Vormittag auch nicht besetzt. Im Zweifel, so heißt es, rufe man die Schweizer Kollegen an und bitte um Rücknahme der Illegalen.
Polen-Grenze
► Grenzübergang Frankfurt an der Oder. Hinter der Oder-Brücke liegt das polnische Städtchen Slubice mit seinen vielen Zigaretten- und Alkoholgeschäften und den Polenmärkten. Viele Pendler sind wegen des Feiertags und des schönen Wetters aus Berlin Richtung Polen unterwegs, um einzukaufen.
Richtung Deutschland staut sich der Verkehr am frühen Mittwoch quer durch die Stadt – nichts Ungewöhnliches in dem deutsch-polnischen Doppelstädtchen. Doch jetzt hat die deutsche Grenzpolizei aufgerüstet, ihre Mannschaften verdoppelt. Im weißen Zelt am Fuß der Brücke stehen deutsche Grenzer in einer Gruppe und unterhalten sich. Die Kontrolle läuft wie immer – einzelne Fahrzeuge werden herausgewinkt, Papiere werden überprüft. Vereinzelt müssen Kofferraum oder Türen geöffnet werden. Lieferwagen, Kleinlaster werden gestoppt: weiße Mercedes-Sprinter und auffällig ungepflegte Fahrzeuge mit getönten Scheiben älterer Baureihen.

Donnerstagmittag: Gegen 12 Uhr überqueren in kurzer Zeit 2 südländisch aussehende junge Männer mit Bart und Rucksäcken zu Fuß die Oderbrücke. Kurz hinter der Brücke werden Sie von je 2 Beamten angehalten. Papiere werden kontrolliert, die Rucksäcke durchsucht. Kein illegaler Grenzübertritt. Die beiden haben deutsche Pässe. „Ich wohne in Frankfurt/Oder und bin Auszubildender“, sagt der eine. Für ihn ist es das erste Mal, dass er hier am Grenzübergang von einem Polizisten kontrolliert wird.
Auch am polnisch-deutschen Grenzübergang an der nahen Autobahn A12 läuft der Grenzverkehr nach Deutschland wie in den vergangenen Wochen: Lastwagen stauen sich am weißen Zelt der Bundespolizei etwa 3 Kilometer. Wartezeit für Lieferverkehr: etwa eine Stunde.
Ob die Kontrollen hier Sinn ergeben? „Schwierig“, sagt Andreas Broska, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Wenn man die Grenze kontrollieren will, muss man auch Schleierfahndung machen an unbesetzten Punkten.“ Die meisten illegalen Grenzübertritte kämen über die grüne Grenze und nachts. Der Grenzfluss Neiße führe aktuell so wenig Wasser, dass man einfach zu Fuß durchmarschieren könne.
Immerhin: Auch im Verlauf der Autobahn Richtung Berlin stehen vereinzelt immer wieder Polizeiwagen hinter Büschen und Bäumen – bereit zum Einsatz.
Österreich-Grenze
► Kiefersfelden, Inntal-Autobahn A93, Grenzübergang zwischen Österreich und Bayern, täglich 25.000 Fahrzeuge kommen von Süden nach Deutschland. Etwa 20 Bundespolizisten kontrollieren an der Raststätte Inntal Ost den Verkehr, teilweise sind sie mit Maschinenpistolen bewaffnet.
An den beiden Fahrspuren der Autobahn stehen 2 feste Häuschen. Davor jeweils 3 Bundespolizisten, die nach verdächtigen Fahrzeugen Ausschau halten. Die Beamten werden alle 45 Minuten abgelöst. Auf dem Rastplatz ist eine dritte Kontrollspur für Schwerlaster eingerichtet.
Fahrzeuge, die kontrolliert werden sollen, werden von den Polizisten in die überdachte Kontrollstelle auf dem Rastplatz geleitet. Ein Kleinbus aus Italien mit 6 Männern wird untersucht. Der Beamte prüft die Ausweise, ein anderer schaut in den Kofferraum. Er entdeckt Bergsteiger-Ausrüstung. Es ist eine Kletter-Gruppe auf dem Weg nach Salzburg.
Am frühen Donnerstagmorgen dann ein Zugriff!
Alparslan (24) geht den Grenzern in einem Reisebus ins Netz. Der kurdische Türke wollte ohne gültige Papiere nach Deutschland. Beamte setzen ihn in Kiefersfelden in den Zug ins österreichische Kufstein. Zurückweisung!
„Ich bin vor zwei Tagen von Istanbul über Italien nach Deutschland gereist“, erzählt Alparslan dem Reporter: „Ich war schon einmal in Deutschland, damals hatte ich Flüchtlingspapiere.“ Doch jetzt wurde er ohne gültige Einreisedokumente erwischt. „Sie sagen, ich würde jetzt endgültig abgeschoben, zurück nach Österreich.“
Was er nach der Zurückweisung vorhat, will er nicht sagen. „Ich brauche jetzt erst mal Schlaf. Danach werde ich weitersehen …“
Bei der Ankunft in Kufstein steht kein österreichischer Polizist am Bahnsteig.