Migrationspolitik: Deutschland muss zu seinem Versprechen stehen
Artikel von David Will/ Zeiz Online
2.400 Menschen warten in Pakistan auf einen Brief vom Amt. Nun sollen sie abgeschoben werden – obwohl Deutschland ihnen Schutz versprochen hat. Das darf nicht passieren.
Nach der Machtergreifung der Taliban flohen zehntausende Menschen aus Afghanistan – so wie dieser Junge, der im August 2021 mit seiner Familie in Frankfurt landete. © Thilo Schmuelgen/Reuters
Wenn Unionsvertreter die Verschärfung des Asylrechts fordern, wird gern auf folgendes Ziel verwiesen: Das Wohl derjenigen müsse gestärkt werden, denen tatsächlich Schutz gebührt. "Unser Asylrecht ist heute ein Recht des Stärkeren", hieß es passend dazu im Wahlprogramm der Union vor der Bundestagswahl. Geholfen werde mit dem geltenden Asylrecht vor allem denen, die genug Kraft und Geld hätten, um die europäischen Außengrenzen zu erreichen. Dabei sollte man besser "die Schwächsten schützen", so das Argument – zum Beispiel, indem man an der Grenze strenger kontrolliert und die Menschen stattdessen über bilaterale Abkommen direkt aus ihren Herkunftsländern aufnimmt.
Diesen Vorsatz könnte die unionsgeführte Bundesregierung heute in die Tat umsetzen. Knapp 2.400 Afghaninnen und Afghanen sitzen auf gepackten Koffern in Pakistan, nicht wenige von ihnen seit Monaten schon, teils seit über einem Jahr. Viele haben vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 mit und für Deutsche gearbeitet, als Ärztinnen, Journalisten und Übersetzer. Sie harren in Islamabad aus, weil die Ampelregierung ihnen Schutz vor den neuen Herrschern zugesichert hatte. Dafür hatte sie im Herbst 2022 das sogenannte Bundesaufnahmeprogramm und vorher schon ähnliche Verfahren aufgesetzt.
Die Frist ist abgelaufen
Und heute, eine Bundestagswahl später? Will die neue Regierung, die schwarz-rote Koalition, damit nichts mehr zu tun haben. Sie will freiwillige Aufnahmeprogramme "soweit wie möglich" beenden, so steht es im Koalitionsvertrag. Im Fall der Afghanen und Afghaninnen bedeutet das, dass sie bereits getroffene Aufnahmezusagen ins Leere laufen lässt. Schon im Januar hatte die pakistanische Regierung verfügt, dass alle Afghanen das Land verlassen müssen, wenn Deutschland sich nicht zur Aufnahme bereit erklärt. Die Frist galt ursprünglich für Ende März, später wurde sie auf den 30. Juni verschoben. Wer nicht Folge leistet, soll abgeschoben werden, heißt es aus Islamabad, auch zurück nach Afghanistan.
Diese Frist ist nun verfallen, ohne dass die Bundesregierung tätig geworden wäre. Einige hundert Betroffene durften in den vergangenen Monaten der Ampelregierung zwar noch nach Deutschland fliegen. Doch die allermeisten haben bis heute kein Visum erhalten.
Und jetzt? Aus dem Auswärtigen Amt hieß es Ende Juni wolkig, man stehe in engem und hochrangigem Kontakt mit der pakistanischen Regierung, um Abschiebungen zu verhindern. Dieselben vagen Sätze hatte man von dort vor Wochen schon gehört. Nur ist bislang dabei wenig bis gar nichts herausgekommen. Müssen die Menschen damit rechnen, dass demnächst Polizisten ihre Unterkünfte stürmen? Oder dürfen sie so lange bleiben, bis sie irgendwann von selbst aufgeben? Man weiß es nicht.
Auf der politischen Ebene werden unterdessen mehrdeutige Botschaften versandt. Außenminister Johann Wadephul (CDU) sagte Anfang Juni, man wolle rechtsverbindliche Aufnahmezusagen "selbstverständlich" einhalten. Das Innenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) betonte in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen Mitte Juni dagegen, dass man derzeit keine Visa an Betroffene ausstelle. Das traurige Ergebnis ist: Noch immer hat keiner der 2.400 Betroffenen Pakistan verlassen. Einige haben darum inzwischen vor dem Berliner Verwaltungsgericht Klage eingereicht.
Von Beginn an schlecht durchdacht
Das ist unredlich. Ja, Kritiker verweisen zu Recht darauf, dass die Aufnahmeprogramme hastig aufgesetzt wurden und von Anfang an schlecht durchdacht waren. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach Anfang Juni angesichts der Afghanen und Afghaninnen von einer "Zuwanderung, die über NGOs gesteuert wurde". Das war zwar maßlos übertrieben, verwies aber auf einen echten Geburtsfehler der Programme. Die Vorprüfung wurde an NGOs delegiert, die die Namen der Kandidaten dann weiterreichten. Nicht staatliche Organisationen – die sich oft per Satzung als Anwalt der Menschen vor Ort verstehen – sollten hier tatsächlich staatliche Aufgaben übernehmen und unparteiisch richten. Besser wäre es gewesen, das Bundesamt für Migration hätte früh Beamte vor Ort für diese Arbeit abgestellt, das sagen heute sogar ehemals Beteiligte.
Auch sollen die Überprüfungen teils mangelhaft gewesen sein, in Einzelfällen soll sogar gelogen worden sein, um Menschen zur Ausreise zu verhelfen, wie der Spiegel berichtete. Wenn das stimmt, ist der deutsche Staat verpflichtet, genauer hinzuschauen und im Zweifel erneut zu prüfen.
Das entbindet ihn allerdings nicht davon, Versprechen einzuhalten, die er einmal gegeben hat. In Afghanistan drohen den Betroffenen Haft, Folter und Tod, auf rückkehrende Frauen wartet unter den Taliban zudem ein Leben in Zuständen, die oftmals an Sklaverei grenzen. Die in Pakistan ausharrenden Menschen verdienen mindestens ein faires Verfahren und auch Hilfe. Wenn man denn wirklich die Schwächsten schützen will.